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Im Gespäch mit Jonathan Joosten

Im Gespräch mit Leif Arne Asmus und Julius Sebastian Führ

Der deutsch-niederländische Künstler Jonathan Joosten scheint häufiger selbst auszustellen, als andere in Ausstellungen gehen. Aktuell studiert er an der Universität der Künste Berlin in der Klasse von Monica Bonvicini und ist Mitbegründer des Spiritus Magazins. Im Interview ging es um seine künstlerischen Arbeiten, seinen Drang zum Sammeln und das zentrale Thema, wie sich gegenwärtige Erfahrungen mit den Spuren der Vergangen- heit überschneiden. Joosten verbindet geschickt alltägliche Objekte, historische Anspielungen und moderne Interpretationen, mit denen er ein Vokabular schafft, das sowohl visuell als auch konzeptuell anregend ist. Seine Arbeiten werfen immer wieder die Frage auf, wie Zeit den Kontext und die Bedeutung der Dinge um uns herum verändert.

Julius Sebastian Führ Was bedeutet dieser Cowboy für dich?

Jonathan Joosten Es ist nicht der Cowboy als Cowboy, sondern vielmehr die Geschichte, die diese Figur erzählt. Mit der Zeit ist er auf verschiedenste Weise immer und immer wieder aufgetaucht - wie als Profilbild oder auf meiner Website und hat so eine gewisse Bedeutung und Wiedererkennung aufgebaut. Die Figur selbst ist der Kopf einer alten Spielfigur von Timpo Toys, einem Hersteller aus den 60er- und 70er-Jahren. Es handelt sich um ein bearbeitetes Produktfoto, das ich einer Online Verkaufsplattform entnommen habe. Ich stelle mir vor, dass der Kopf aussortiert und auf einem Tisch mit einer Handykamera fotografiert wurde. Er hat also einen abgestem- pelten Charakter. Zudem spiegelt die Tatsache, dass es sich um ein Spielzeug handelt, auch die Idee wider, dass es sich um eine dargestellte und interpretierte Figur handelt, die erst durch das Spiel geformt und kontextualisiert wird. Er hat etwas Historisches, Ikonisches, aber auch etwas Abgelebtes. Das leicht deformierte Gesicht erzählt diese Mischung aus Romantik und Verlust und passt zu dem, was ich in meiner Arbeit behandle.

JSF Dein Profilbild könnte Rückschlüsse auf dich ziehen lassen, etwa dass du dich selbst als diesen Cowboy siehst. Stimmt das?

JJ Ich versuche, Arbeit und Privatleben in gewisser Distanz zueinander zu halten, besonders in den Sozialen Medien. Dort präsen- tiere ich mehr meine Arbeit als mich selbst. Das ist eine bewusste Entscheidung: Kunst kann persönlich sein, aber sie muss nicht alles von mir preisgeben. Die Figur als Profilbild vertritt also eher meine Arbeit als meine Person und erreicht
dieses, denke ich, deutlich besser als mein Gesicht es könnte.

Leif Arne Asmus Braucht deine Kunst dich, oder kannst du sie loslassen und der Interpretation anderer überlassen?

JJ Um sie der Interpretation freizugeben, muss sie zuerst geschaffen werden, und da bin ich der Ausgangspunkt. Sie kann allerdings nur wirken, wenn ich Kontrolle abgebe. Es ist spannend, wenn andere etwas darin sehen, das außerhalb meiner Gedanken liegt. Trotzdem bleibe ich verbunden –
Meine Arbeiten tragen meine Handschrift.

LAA Ist es wichtig, dass deine Arbeit auch ästhetisch ist?

JJAbsolut. Ästhetik ist ein wichtiges Mittel, das für mich über die Idee der Schönheit hinausgeht, auch um Inhalte zu vermitteln. Oft beginnt meine Arbeit mit einer klaren Idee oder einem Konzept, das sich im Prozess weiterentwickelt. Materialien spielen dabei eine große Rolle – sie bringen eine eigene Geschichte mit, werden durch den Arbeitsprozess aber abstrahiert. Es entsteht etwas Neues, das dennoch mit dem Ursprung verknüpft
bleibt.

JSFEntwickelst du deine Ideen vorher, oder entstehen sie
während der Arbeit?

JJ Das Konzept führt zum Start einer neuen Arbeit, aber im Prozess wird die Idee oft komplexer und abstrakter. Ich brauche diesen konzeptuellen Rahmen. Beim direkten Dialog mit dem Material ist wichtig, dass ich nicht zu viel nachdenken muss, sondern mich auf etwas einlassen kann.

JSF Hast du das Video zwischen Anselm Kiefer und Ferdi- nand von Schirach gesehen? Es gab eine Szene, in der Kiefer vor einem seiner riesigen Metallabzügen steht und sagt, es sei einfach nur ein Spiel. Aber er hat sich selbst einen Rahmen geschaffen, in dem er komplexe Arbeiten entwickeln kann.

JJ Ja, das habe ich gesehen. Letztendlich geht es mir darum, ein Vokabular aufzubauen. In und mit diesem kann dann viel passieren. Ich sammle beispielsweise viele Objekte, oft ohne genau zu wissen, warum, aber sie passen irgendwie zusammen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ein Element fehlt, also füge ich etwas anderes hinzu. Manchmal funktioniert es, manchmal nicht. Aber es geht darum zu schauen, wie sich diese Elemente mitei-
nander verhalten. Es ist ein Testen und Wiederholen.

JSF Was mich auch interessierte, war der Vergleich zwischen Kunst und Schreiben, den Schirach zog. Beim Schreiben braucht man mehr Vorwissen und einen Plan – also auch ein Konzept. Aber beim Experimentieren mit Materialien ist das anders, man kann mehr spielen.

JJ Ein Experiment muss keiner direkten Logik folgen. Der Reiz des Ausprobierens liegt für mich darin, nicht zu wissen, wohin es mich führen kann. Es ist also durchaus eine spielerische Herangehensweise. Aller- dings reicht mir das Experiment allein nicht aus, es bringt aber die Spannung zwischen konkreten und offenen Fragen. Mir gefällt es, meine Arbeiten in sich unschlüssig zu lassen. Wie ein Debattierclub, der erst Pro und dann Contra vertritt und so gegen sich selbst argumentiert. Ein Beispiel wäre die Arbeit “CUT-FISHING FOR A VIEW“, die ich in Zusammenarbeit mit Daniel Hölzl umge- setzt habe. In dieser gehen wir auf den Umbau eines Galerie-Raumes ein und sprechen eine Rücksetzung der Baumaßnahme an, die allerdings unserer Arbeit den Platz nehmen würde. Es geht also um die Idee einer potenziellen Handlung
und den Gedankengang, den sie anregt.

JSF Du sammelst also viele Objekte, baust daraus ein gedankliches Puzzle und setzt diese zusammen. Aber was sind die Themen, die dich beschäftigen? Sind es alltägliche Dinge oder etwas anderes?

JJ Momentan geht es mir viel um die Idee der Überschrei- bung. Ein Sinnbild für dieses Konzept ist z.B. ein Palimpsest – Im Ursprünglichen ist das ein antikes Schriftstück, bei dem zur Materialsparung der Text immer wieder abgekratzt oder abgewaschen wurde, um Platz für neuen Inhalt zu gewinnen. Der Begriff taucht z.B. auch in der Architektur auf, wenn etwas gegen den ursprünglich hergestellten Zweck neu verwendet wird. Diese Idee der Umnut- zung und Modernisierung finde ich sehr spannend, da er uns überall begegnet.
Unsere Umwelt steht schließlich zwischen Fortbestehen und Aktualisierung. Vor allem Technik entwickelt sich so schnell, dass viele Dinge, die wir selbstverständlich betrachten, plötzlich überholt sind. Zum Beispiel nutze ich bei den modifizierten Regalbrettern der “ISSUE” Serie unter anderem Objekte, die eigentlich aus einer Zeit stammen, die ich kaum bewusst erlebt habe, wie beispielsweise Diarahmen. Das verbinde ich mit den immer seltener werdenden DVD-Hüllen, die meine Kindheit geprägt haben, und Magazin-Ausschnitten aus der Gegenwart. Daraus entsteht eine Folie unter- schiedlicher Zeiten. Der Aspekt, dass die Objekte bereits vor ihrer Einbettung
in meine Arbeit produziert wurden und nicht speziell dafür, ist dabei essenziell.

JSF Das klingt, als würdest du verschiedene Epochen miteinander verweben?

JJ Es geht darum, einen Umgang mit dem bereits beste- henden zu finden. Die Arbeit verbindet diese verschiedenen Elemente und kreiert etwas Neues, das in der Betrachtung ein Jetzt wird.

JSF Wie bei Spielzeugfiguren, deren Bedeutung sich im Lauf der Zeit ändert?

JJ Genau! Figuren wie Cowboys oder Ritter waren einst Helden, ein Symbol für Stärke und Maskulinität. Heute wirken sie wie Relikte, fast ironisch. Diese Verschiebung von Bedeutung interessiert mich – dass etwas
immernoch das Gleiche ist, aber in einem völlig neuen Kontext steht.
Das gleiche Prinzip gilt für meine Regalsysteme. Sie sind eigentlich dazu gedacht, einfach an die Wand geschraubt zu werden. Ich nehme aber diese und baue daraus freistehende Strukturen, die im Raum stehen können. Dabei bleibt es im Kern ein Regal, aber die ursprüngliche Idee des simplen Systems wird in eine komplexere, dysfunktionale Form verwandelt. Ich finde die Zusammensetzung deiner Arbeiten span- nend.

JSF Wie gehst du dabei vor? Geht es um Funktionalität – also dass alles passt und hält – oder mehr um die Ästhetik?

JJ Wenn ich mit Readymades arbeite, also fixen Elementen, die ich nicht groß verändern möchte, muss ich den Rest an sie anpassen. Es entsteht eine interne Logik. Ich möchte eine Struktur etablieren, innerhalb derer Inhalte Form finden können. Es entsteht also ein in sich autonomes System.
Auch räumliche Vorgaben beeinflussen meine Arbeit oft stark – nicht immer direkt, aber durch Elemente wie z.B. das Format. Ein Beispiel dafür ist meine Arbeit “PUBLIC REEL (strained)”, die sich in den Ausstel- lungsraum presst, oder “ISSUE [0724]”, in der sich Regalschienen vom Boden 8 Meter in die Höhe ziehen und ein Kajak-Prototyp mit der Spitze in der Heizung steckt.
Ein Beispiel, bei dem ein Readymade die letztend- liche Ausführung der Arbeit bestimmt hat, sind die Arbeiten aus der Serie “RL’S HEADSPACE” (links, oben). Ausgangspunkt war ein Manuskript der Autorin Anna Gien, mit der ich zusammengearbeitet habe. Die gewählten Textfragmente hatten verschiedene Ebenen: Traum, Rausch, Realität und eine Perspektive aus der Zeitung – alles Perspektiven, die von einer Person erlebt wurden. Übertragen habe ich diese Texte auf Platten, die in Schubladenelemente eines alten Zeichenschranks eingefasst wurden. Ich fand den Zeichenschrank interessant, da immer nur eine Schublade einzeln geöffnet werden konnte. Der Schrank spiegelt für mich die Idee eines geschlossenen Körpers, aus dem verschiedene Elemente – wie Gedanken – herausgezogen werden können, gleichsam den verschiedenen Realitätsebenen des Charakters
aus dem Manuskript.
Solche Überlegungen leiten mich. Sie sind nicht unbe- dingt entscheidend für das Verständnis, aber geben im Prozess für die Arbeit eine logische Untermauerung.

JSF Text taucht in deiner Arbeit häufiger auf. Welche Funktion hat Schrift für dich?

JJ Ich finde Schrift visuell interessant, weil sie sofort den Blick der Betrachtenden lenkt, und dadurch die Wahrnehmung einer Arbeit verändert. Ich sammle gerne Textfragmente, aber nutze selten selbst
geschriebenes.
Eine Sammlung von Filmtiteln verarbeite ich gerade in der Serie “RE:VISION” (S.151), in der erneut das Thema der Modernisierung – in diesem Fall das Phänomen des Remakes – behandelt wird. Es geht um Filme, die neu aufgelegt wurden. Der Inhalt bleibt gleich, aber in eine andere Zeit und in einen neuen Kontext gesetzt. Wie bei Theater Klassikern, die immer wieder neu inszeniert werden.

JSF Ah, das ist das neueste Projekt, über das du gesprochen hast? Die Grafiken hast du auch produzieren lassen?

JJ Genau, ich habe die finalen Arbeiten extern produ- zieren lassen. Den gewünschten Effekt des Lentikulardrucks, den ich verwendet habe, hätte ich so selber nicht erzeugen können. Das Konzept einer Überblen- dung verschiedener Versionen eines Stoffes wird durch die spezielle Technik,
erst in der Betrachtung und einer Bewegung durch den Raum aktiviert.

LAA Wie war es, die Produktion abzugeben?

JJ Da ich wusste, dass die Spezialist*innen die Aufgabe besser umsetzen können, hat es gut funktioniert. Bei dieser Arbeit gab es kaum das Risiko, dass sich das Ergebnis durch die Produktion verändern würde. Besonders bei dieser Idee passte es für mich auch konzeptuell, da ich auf die Filmindustrie eingehe, in der jedes Arbeitsfeld an ein eigenes Department delegiert wird.

Jonathan Joosten verdeutlicht in seinem kreativen Prozess, dass Kunst immer ein Zusammenspiel von Ideen, Materialität und Kontext ist. Durch seine experimentelle Herange- hensweise und das Spiel mit Formen, Medien und Bedeutung schafft er Werke, die sich kontinuierlich neu erfinden – wie das Konzept des Palimpsests, das er in seinen Arbeiten aufgreift. In seiner Kunst wird das Alltägliche zu etwas Neuem, und es ist genau diese Fähigkeit, das Bekannte zu hinterfragen und in neuen Kontexten zu denken, die seine Arbeiten so spannend machen. Die Frage nach der Veränderung von Bedeutung und die Auseinandersetzung mit der Umnutzung sind wichtige Themen, die sich in seiner gesamten Praxis wiederholen. Es bleibt spannend, wie sich Joostens künstlerischer Dialog mit der Welt weiter entfalten wird – ein Dialog, der uns immer wieder fordert, die Dinge mit anderen Augen zu sehen und ihre Geschichten neu zu schreiben.



Credits

Jonathan Joosten

TEXT BY
Julius Sebastian Führ

PORTRAIT BY
Yaniv Jöns-Anders

FIRST IMAGE
PUBLIC REEL (strained) | 2024 | 704 x 280 x 60 cm

SECOND IMAGE
ISSUE [0724] | 2024 | 790 x 90 x 40 cm